Nicht-invasive Technologien für kontinuierliches hämodynamisches Monitoring in klinischer Anwendung auf dem Vormarsch
Das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie verabschiedete vor kurzem eine neue Leitlinie, welche die intraoperativen klinische Anwendung der hämodynamischem Überwachung bei nicht-kardiochirurgischen Patient:innen thematisiert. 1
> Warum kontinuierliches Monitoring?
Die Zielsetzung dieser speziellen Leitlinie war es, die für die tägliche klinische Praxis wichtigen Fragen zu identifizieren und auf Basis aktueller Evidenz zu beantworten. Hämodynamisches Monitoring und Management stellen die perioperative Überwachung und Therapie der Herz-Kreislauffunktion sicher und bilden die Grundsäulen der perioperativen anästhesiologischen Behandlung zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen. Weiters sollen perioperativen Komplikationen vermieden werden, deren Rate mit fast 20% immer noch sehr hoch ist 1. Langzeitmorbidität mit Einfluss auf die Sterblichkeit und Lebensqualität ist hier oft die Folge.
Eine kontinuierliche Blutdruckmessung ermöglicht die Detektion und damit auch eine unmittelbare Therapie von schnell auftretender Hypotension oder Hypertension. Die kontinuierliche Blutdruckmessung kann somit helfen, das Auftreten von Blutdruckschwankungen und intraoperativer Hypotension zu reduzieren.
Die Beurteilung der Volumenreagibilität ist ein wichtiger Baustein in der Volumentherapie. Volumenreagibilität bedeutet, dass sich durch einen Flüssigkeitsbolus das Schlagvolumen/ Herzzeitvolumen steigern lässt. Die Anwendung der Testverfahren zur Beurteilung der Volumenreagibilität erfolgt in Abwägung der klinischen Situation und unter Beachtung der verfahrensimmanenten Limitationen. Grundsätzlich gilt es, sowohl Volumenmangel als auch Volumenüberladung zu vermeiden.
> Die Empfehlungen der Leitlinien-Gruppe
Die einzelnen Komponenten des hämodynamischen Monitorings können jedoch immer nur Teilaspekte für die Gesamtevaluierung der klinischen Situation des Patienten abbilden. Man differenziert daher die Monitoring-Methoden je nach Zustand des Patienten im Kontext mit seiner Anamnese und den Voruntersuchungen. Der Bogen spannt sich von nicht-invasivem Basismonitoring, das bei allen Patienten verwendet werden kann bis etwa zum Einsatz des Pulmonalarterien-Katheters bei hochselektierten Patienten. Auch die interdisziplinare Kommunikation ist gemäß Leitliniengruppe hier essenziell.
In Bezug auf die intraoperative Überwachung von hämodynamischen Werten, insbesondere von Blutdruck, Schlag- und Herzzeitvolumen, sowie dynamischer Flüssigkeitsparameter enthält die neue Leitlinie die folgenden Empfehlungen:
- Eine kontinuierliche arterielle Blutdrucküberwachung sollte bei allen Patienten durchgeführt werden, bei welchen Komplikationsrisiken im Sinne von Hypo- oder Hypertension zu erwarten sind.
- Kontinuierliche Messungen können invasiv oder nicht-invasiv (z.B über einen Fingersensor) gemessen werden, je nach klinischem Zustand und Anamnese des Patienten.
- Bei geeigneten Patienten, z.B. niedrigen oder mittleren Risikos, kann eine nicht-invasive kontinuierliche Blutdrucküberwachung in Betracht gezogen werden.
- Die kontinuierliche Messung hämodynamischer Werte sollte prinzipiell die bevorzugte Methode gegenüber der intermittierenden Messung sein.
- Die Überwachung von Schlagvolumen und Herzzeitvolumen kann bei Patienten während Operation angewendet werden.
- Zur Evaluation der Volumenreagibilitat bei kontrolliert beatmeten Patient:innen sollen dynamische Vorlastvariablen (z.B. Pulsdruckvariation oder Schlagvolumenvariation) verwendet werden.
- Wenn möglich, sollten die Rohsignale der Messung zusätzlich zu den numerischen Werten der hämodynamischen Messung angezeigt werden, um Artefakte zu erkennen und weiterführende diagnostische Informationen ableiten zu können.
- Eine Reduktion oder Vermeidung von invasivem hämodynamischem Monitoring sollte das Ziel sein, um das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen zu verbessern.
> Nicht-invasive Technologien und ihre Vorteile
Die technischen Möglichkeiten zur Herz-Kreislaufüberwachung haben sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt, weniger invasive und nicht-invasive Messmethoden sind auf dem Markt, die langfristig zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen können, da sie Risiko und Komplikationen deutlich reduzieren.
In diese Kerbe schlagen auch die Erkenntnisse weiterer Studien des Autorenteams aus Hamburg. Nichtinvasive Fingersensoren ermöglichen die kontinuierliche Überwachung des Blutdrucks ohne einen arteriellen Katheter setzen zu müssen. Die kontinuierliche Überwachung während einer Narkoseeinleitung und während des chirurgischen Eingriffes reduziert Hypotension im Vergleich zur intermittierenden Blutdruckmessmethode.
> Jüngste Studien favorisieren die nicht-invasive kontinuierliche Überwachung
Konkret konnte man feststellen, dass die kontinuierliche Überwachung des arteriellen Blutdrucks mittels Fingermanschette während nicht-kardialer Eingriffe dazu beiträgt, eine Hypotonie bereits innerhalb der ersten 15 Minuten nach Beginn der Anästhesie effektiv zu reduzieren und somit schwerwiegendere Blutdruckabfälle zu verhindern.2 Erneut lautet die Empfehlung des Expertenteams:
„Clinicians might reasonably consider continuous finger cuff monitoring in patients who would otherwise be monitored with intermittent oscillometric monitoring“.2 Denn abgesehen vom reduzierten Risiko durch die bessere Erkennbarkeit hypotoner Episoden, ist die Übereinstimmung zwischen Fingerblutdruckmessung und intra-arterieller Messung weitaus besser als zwischen oszillometrischer Blutdruckmessung und intra-arterieller Kathetermessung. „Continuous monitoring of blood pressure is an intriguing new concept that has the potential to revolutionize patient care.”3
Die Studie von Gore et al. geht sogar noch einen Schritt weiter und beschäftigt sich mit der Frage, ob nicht-invasive Technologien zur kontinuierlichen Blutdruckmessung das Potenzial haben, invasive Messungen zu ersetzen. Aus den Schlussfolgerungen geht hervor, dass man zwar mit Sicherheit nicht die Arterienmessung für kritisch kranke Partient:innen eliminieren wird, jedoch für nichtinvasive Blutdruckmonitore vielversprechende Einsatzmöglichkeiten sieht:
“In the future, non-invasive continuous BP monitors will likely replace intermittent oscillometers in the operating room and the postoperative period.”4
Referenzen:
1 Saugel B, et al. S1-Leitlinie Intraoperative klinische Anwendung von hamodynamischem Monitoring bei nicht-kardiochirurgischen Patient:innen, verfügbar hier
2 Bergholz, A., Greiwe, G., Kouz, K. & Saugel, B. Continuous Blood Pressure Monitoring in Patients Having Surgery: A Narrative Review. Medicina (Kaunas). 59, 1–10 (2023). Zum Abstract
3 Kouz, K. et al. Continuous finger-cuff versus intermittent oscillometric arterial pressure monitoring and hypotension during induction of anesthesia and non-cardiac surgery: The DETECT randomized trial. Anesthesiology (2023). doi:10.1097/ALN.0000000000004629. Zum Abstract
4 Gore P, Liu H, Bohringer C (February 22, 2024) Can Currently Available Non-invasive Continuous Blood Pressure Monitors Replace Invasive Measurement With an Arterial Catheter? . Cureus 16(2): e54707. DOI 10.7759/cureus.54707. Zum Abstract